Handeloh: "Hier ruhen 64 KZ-Häftlinge"
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Böhme-Zeitung vom 5.10.1988 |
Wintermoor: "Hier ruhen 156 unbekannte Opfer des Dritten Reiches"
Schneverdingen: "62 unbekannte KZ-Tote"
Soltau: "Hier ruhen 80 Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft"
Wolterdingen: "269 unbekannte Menschen sind hier beigesetzt. Nur Gott der Herr kennt ihre Namen... "
Warum beschäftigen uns heute die grausamen Ereignisse und die Handlungen der Menschen von damals? Was bedeutet das "Aufwühlen" für andere, was berührt, betrifft sie dabei, sie, die keine Täter waren?
Wir haben keine fertigen Antworten. Wir haben Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel in Schneverdingen: Im September 1988 wurde im Rat der Stadt der Antrag gestellt, eine Gedenktafel beim Schneverdinger KZ-Grab aufzustellen, die nähere Angaben zu den Opfern und den Ereignissen enthalten sollte.
Im Oktober 1988 beschäftigte sich dann ein Ausschuß des Schneverdinger Rates mit der Frage, ob die KZ-Opfer auf dem örtlichen Friedhof nicht eine angemessenere Form des Gedenkens verdient hätten.
Das Ergebnis, die Ablehnung des Antrages durch die CDU-Mehrheit, ist bezeichnend und die Begründung einer genaueren Analyse wert, zeigt sie doch, wie ungebrochen die Tradition des Verdrängens fortbesteht.
Im dem Artikel der lokalen Zeitung wird die Meinung eines CDU-Ratsherrn zur Grabinschrift wiedergegeben mit den Worten: "Diese Aufschrift sage schon genügend.... einer weiteren Erläuterung bedürfe es nicht." ¤
" 1945 HERR, ERBARME DICH
62
UNBEKANNTE
KZ-TOTE" |
Wem mag diese Inschrift genügend sagen? Vielleicht denjenigen, die wissen, wie diese KZ-Häftlinge nach Schneverdingen gekommen sind und unter welchen Umständen sie auf dem Friedhof ihre letzte Ruhe gefunden haben.
Sagt die Inschrift auch denjenigen genügend, für die die Untaten des Dritten Reiches allenfalls Ereignisse der Geschichte sind, die sich zumeist fern von ihrer unmittelbaren Heimat, z.B. in Auschwitz, zugetragen haben?
Nur wenige der Jüngeren haben über das, was sich an Greueln in der Heimat ereignete, näheres gehört.
62 Menschen aus KZ-Zügen liegen auf dem Schneverdinger Friedhof. Seit über fünfzig Jahren, seit der von den Engländern angeordneten ordentlichen Beerdigung, sind es Tote ohne Namen, ohne Herkunft, ohne Angehörige, ohne Geschlecht. Nur zwei Buchstaben auf dem steinernen Kreuz lassen ihr besonderes Schicksal erahnen: KZ!
Tatsächlich empfinden viele, auch viele Politiker, dieses Kürzel schon als lästig. Ihnen wäre es am liebsten, man würde diese Ereignisse nun endlich endgültig vergessen.
Treffend schreibt ein Leser des obigen Berichts an die Böhme-Zeitung: "Haltungen, wie sie jetzt von den Gegnern der vorgeschlagenen
Informationstafeln gezeigt wurden, sorgten lange dafür, dass ein Mantel des Schweigens über das einst Geschehene ausgebreitet blieb. " ¤ Für ihn ist diese Position Ausdruck einer "Gefühllosigkeit gegenüber den Opfern". ¤
Diese Gefühllosigkeit wird auch in einer anderen Ratsherrenäußerung deutlich: "Ein Friedhof soll eine Ruhestätte für alle sein. ... Da ist es nicht üblich, Hinweise auf die Todesarten zu geben." ¤
Selbstverständlich soll ein Friedhof eine Stätte der Ruhe für alle sein, keiner wird da widersprechen. Aber würde denn die Ruhe dieser Stätte dadurch gestört, dass hier Gedenktafeln aufgestellt werden?
Gestört fühlen wird sich niemand, dem bewusst ist, dass erinnern das ist, was wir heute für die namenlosen Toten tun können. Gestört fühlen kann sich doch nur jemand, der nicht wahrhaben will, was entlang der Heidebahn geschah.
Muss nicht allen diese störende Erinnerung immer wieder zugemutet werden?
Jahre sind inzwischen vergangen seit dem Antrag. Ein Ablehnungsgrund lautete damals: "So etwas muss man anders aufarbeiten." ¤
Seitdem ist nichts geschehen. Dieser Satz ist also nur ein Lippenbekenntnis, politische Heuchelei. Es ging nicht darum, einen Sachverhalt anders aufzuarbeiten, sondern nur darum, unliebsame Erinnerungen auch weiterhin zu verdrängen: Friedhofsruhe.
"Unbekannte Tote" - die Routine der Ämter |
Handeloh, Wintermoor, Schneverdingen, Wolterdingen, Soltau - fünf Friedhöfe entlang der Heidebahn, fünf Grabsteine. Fünf Inschriften, die eines gemeinsam haben: Sie sagen so gut wie nichts über die Identität der Toten. In drei Fällen findet sich sogar der ausdrückliche Hinweis, es handele sich bei diesen Toten um unbekannte Menschen. Die Betrachter erfahren nichts über Namen, Herkunft, Todestag, Umstände, unter denen diese Menschen zu Tode gekommen sind. Hat sich niemand die Mühe gemacht, mehr über diese Toten in Erfahrung zu bringen?
Die wenigen amtlichen Unterlagen aus der Zeit nach dem Krieg, die wir zu sehen bekamen, zeigen, dass es Bemühungen gegeben hat, die Identität der begrabenen "Namenlosen" zu klären.
Entsprechende Anfragen scheinen in der Nachkriegszeit aber routinemäßig erledigt worden zu sein, wie etwa für die Stadt Soltau durch ihren damaligen Verwaltungsangestellten Peters ¤. Konkrete Antworten fanden wir lediglich auf eine einzige Rundfrage der Nachkriegszeit und nur von einer der vielen Gemeinden des Kreises Soltau, nämlich Ehrhorn. Die Antwort des dortigen Bürgermeisters auf eine Umfrage vom "Kreis-Sonderhilfsausschuss Soltau (Hann.)" enthält die Auflistung von Häftlingsnummern für 32 Tote. Häftlingsnummern, mit denen es uns selbst jetzt, über vierzig Jahre danach, noch möglich war, die Identität der Toten festzustellen! ¤ Offen bleibt aber auch heute, ob jemals Angehörige informiert wurden. Wir gaben Namen und Häftlingsnunmmern dem Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes (Arolsen). Aber wir erhielten keine Antwort.
Unsere konkreten Erfahrungen bei der Suche nach Hilfe, unter anderem bei Städten, der Bezirksregierung und dem Verband der Kriegsgräberfürsorge: Bedauern, keine Unterlagen, keine Zuständigkeit. Was uns zunächst nur als Einzelfall begegnet ist, spiegelt in der Summe, was in der ersten Nachkriegszeit geschah: Nichtbefassen, Desinteresse, Wegsehen.
Auch bei der Aktenführung über die jüngere Zeit stießen wir auf "Fehlanzeige" in den Archiven - ein Zeichen dafür, dass sich seit damals nicht viel geändert hat?
Manchmal blitzt Wissen durch die Notizen der Verwaltungen, finden sich Bruchstücke in den Unterlagen. So zum Beispiel, wenn der Sachbearbeiter der Stadt Schneverdingen bei der Anfrage nach einem toten Belgier sehr bestimmt weiß, dass dieser nicht auf dem Schneverdinger, sondern tatsächlich auf dem Wolterdinger Friedhof begraben liegt. ¤
Bis lange in die Nachkriegszeit hinein wurden beim Landkreis die Kriegsgräberangelegenheiten und entsprechende Anfragen, damit auch die KZ-Toten, von einem Beamten verwaltet, der nur wenige Jahre zuvor die Judenkartei mitbetreut hatte.
Doch sind es nicht in jedem Fall "Belastete" gewesen, die die Spuren verwischten. Die vielen einzelnen offenen Fragen, Widersprüche, Ungereimtheiten und offenkundigen Vertuschungen aus jener Zeit können nur schlaglichtartig ausgeleuchtet werden. Jahrzehntelanges Tilgen und Verleugnen führte zur Unauffindbarkeit von Geschichte.
Da ist es dann folgerichtiger Zufall, wenn etwa die Soltauer KZ-Grabstätte im Friedhofsplan von 1978 nur noch als Grünfläche ausgewiesen wird. Man hat die KZ-Toten einfach vergessen.
Wann der Grabstein gesetzt, wie viele Tote wirklich begraben wurden, was mit später Aufgefundenen geschah - diese Art von Fragen ließ uns nicht nur die Soltauer Stadtverwaltung unbeantwortet.
Unmittelbar nach dem Krieg wurden von Tätern Spuren verwischt, danach von Belasteten Archive gesäubert; durch Unwissende gingen die letzten Spuren verloren.
Dieser Geschichtsverlust ist auch deutlich geworden in der politischen Auseinandersetzung über die Schneverdinger Friedhofsinformationstafeln. Heutige Politik als Lehrstück für das alte Verleugnen, das sich beharrlich am Leben erhält.
"Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren. ... Wir suchen Versöhnung. Gerade deshalb müssen wir verstehen, dass es Versöhnung ohne Erinnerung gar nicht geben kann." ¤
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