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Depesche aus Wolterdingen


Ein Kriegsberichterstatter und ein Fototeam vor Ort


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DESPATCH
by
Wynford Vaughan Thomas
Transcibed: 19.40 DNST: 28.4.45

Kriegsbericht von Wynford Vaughan Thomas


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Vor einigen Tagen deckten wir direkt nördlich von Soltau weitere versteckte Greuel auf. Zugladungen mit politischen Gefangenen sollten nach Belsen fahren, doch unser Vormarsch hatte die Strecke blockiert. Nachdem sie für einige Tage einen Zug auf einen Nebengleis in dem kleinen Dorf Wolterdingen festgehalten hatten, merkten die SS-Wachen, dass sie Gefahr liefen, von unseren vorgerückten Truppen gefangen genommen zu werden. Sie befahlen den Gefangenen, die Viehwagen zu verlassen, in die sie hineingepresst worden waren; sie befahlen ihnen, in kleinen Gruppen in einen nahegelegenden Wald zu marschieren. Nachdem die Gefangenen eine Serie von tiefen Gruben, ungefähr 100 yards voneinander entfernt, gegraben hatten, schlugen die Wachen sie mit Holzknüppeln tot. Sie warfen sie in die Gruben; sie bedeckten sie mit etwas Erde, und anschließend machten sie sich davon...

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...Wir begannen, diese Gruben aufzudecken; wir haben Obduktionsärzte gehabt, die die Körper untersuchten. Sie stellten fest, dass in einigen Fällen die Opfer nicht nur zu Tode geschlagen worden waren, sondern auch, dass sie begraben wurden, während sie noch - obwohl bewußtlos - atmeten. Die Anzahl der Opfer ist immer noch ungewiß. Wir haben schon drei Gruben gefunden, von denen jede 90 Körper enthielt; wir werden viel mehr finden. Der örtliche Bürgermeister denkt, dass ungefähr 4000-5000 Gefangene in diesem und den anderen Zügen waren. Dies sind die Fakten; diese Gruben in dem stillen Wald mit dem verlassenen Zug daneben waren schrecklich. Ich werde nicht mehr als das sagen.
Ich sah sie...

0 ...an diesem Nachmittag sahen alle wichtigen Soltauer Bürger sie auch; die Pioniercorps hatten sie zu diesem Wald hinausgebracht, und die Richter und die Ärzte und die führenden Persönlichkeiten dieser Gegend mussten an diesen Gruben vorbeimaschieren; ...
0 ... dann wurden sie zum Massengrab auf dem nahegelegen Friedhof gebracht. Deutsche Zivilisten haben das Grab ausgehoben. Deutsche Frauen und Jugendliche mussten die Körper von den Gruben zum Friedhof tragen. Eine oder zwei der Frauen grinsten, während sie es taten. Die Soltauer Gruppe lächelte nicht; einige von ihnen vergossen Tränen, als sie dem britischen Major zuhörten - einem alten Gardeoffizier, der am letzten Krieg teilgenommen hatte. Er vergewisserte sich, dass ihnen nichts entging. Dann, als sie neben dem großen Grab standen, bat der führende Soltauer Bürgermeister um Sprecherlaubnis...
0 ... Der Dolmetscher übersetzte seine Worte, und die britischen Soldaten hörten zu. Er sagte, dass die Soltauer sehr erschüttert gewesen seien über das, was sie gesehen hätten. Er sagte, dass sie nur ihr tiefstes Bedauern ausdrücken könnten; und er sagte wieder, dass sie nichts wussten von dem, was sowohl hier als auch in Belsen vor sich ging. Ich glaube nicht,dass diese Leute wussten, was vor sich ging. Aber sie wussten, wofür das Naziregime einstand; sie hatten es toleriert, und jetzt, in diesem stillen Wald, hatten sie sich zu verantworten für die Verbrechen, die es in ihrem Namen begangen hatte. Morgen werden sie mit der Bestattung der Toten fortfahren. Und von jedem Mann und jeder Frau in Soltau werden wir den besten Anzug und das beste Kleid nehmen: diese werden wir an die Menschen in Belsen geben, die immer noch leben.

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