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Die Ereignisse in Handeloh


Dargestellt anhand einer Zeugenaussage, eines Berichtes des damaligen Bürgermeisters sowie der Ermittlungen der Britischen Armee.



Der Bahnhof Handeloh heute
Der Bahnhof Handeloh heute

Aufzeichnungen von Frau 0.: Sonntag, 8.April


Im Jahre 44/45 leistete ich, eben 16jährig, ein damals gefordertes landwirtschaftliches Pflichtjahr im Nachbarort Holm. Am Sonntag, 8.April 45 war ich zu Hause im Elternhaus in Handeloh.
Unser Ort hatte Einquartierung von deutschen Soldaten, das letzte Mal in dem damaligen Krieg. Ich weiß nicht mehr, um was für eine Einheit es sich handelte. Auch sie zogen sich eigentlich, aus Verden kommend, nur noch vor den heranrückenden englischen Truppen zurück. Ziemlich ziel- und planlos warteten auch sie auf das möglichst kampflose Ende des Krieges, und sie verbrachten den Sonntag mit uns.
Am Montagmorgen des 9. April bekamen sie jedoch Befehl, die aus einem auf dem Bahnhof Handeloh haltenden KZ-Zug in der Nacht zahlreich ausgebrochenen Häftlinge zu suchen und einzutreiben. Dieser Zug sollte am 8.4. angekommen sein. Wir Dorfbewohner konnten uns darunter nichts vorstellen.

Der Häftling in der Scheune


Kurz nach 8 Uhr dieses Morgens sah ich jedoch, unserem Hause gegenüber, einen Häftling in gestreifter Häftlingskleidung über den Acker stolpern, von einem Soldaten mit Gewehr gefolgt. An der Straße angekommen, bekam er einen Stiefeltritt und fiel zu Boden. Er erhob sich jedoch und taumelte weiter Richtung Bahnhof (5 Min.), von dem Soldaten gefolgt. Er hatte sich in einer nahegelegenen Schanze versteckt.
Die Tochter eines Bauern stach beim Streuen des Schweinestalles mit der Forke auf einen kahlgeschorenen Häftling in Sträflingskleidung, der sich im Stroh versteckt hatte. Entsetzt schrie sie auf ob des Anblickes und lief davon. Zwei Soldaten oder vielleicht auch Begleiter des Zuges, sie weiß es nicht mehr, beförderten den Gefundenen mit Fußtritten die Stufen des Schweinestalles hinunter und zogen mit ihm ab.

Kartoffeln für die Häftlinge


Das Dorf geriet in Aufruhr. Kurz darauf kam auch unser Bürgermeister, Heinrich Peters, mit dem wir ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis hatten. Er sagte zu meinen Eltern: "Da ist ein Zug mit Gefangenen auf dem Bahnhof. Das ist so ein schreckliches Elend, man mag es nicht mit ansehen. Die Leute sind fast verhungert. Sie sollen schon einige Tage in Harburg gestanden haben, und da gab es kein Wasser. Wir müssen da mal was zu essen hinbringen. Ich habe bei den Bauern auch schon Bescheid gesagt."
Er bat meine Mutter, einen Topf Pellkartoffeln und auch Kaffee zu kochen. Mutter nahm den größten Topf, kochte Kartoffeln und eine große Milchkanne Roggenkaffee. Vater brachte es mit seinem Fahrrad zum Bahnhof. Unser Bürgermeister schob das Gesammelte auf der Schiebkarre hin. Als Vater zurückkam, sagte er: "Das ist ja fürchterlich. Geht dort man nicht hin. Dort wird auch geschossen."
Meine Neugier trieb mich auf dem Rückweg nach Holm aber doch am Bahnhof vorbei. In Distanz blieb ich stehen. Ich sah dort keine weiteren Zivilisten. Kartoffeln und Kannen standen auf der Wartebank des Bahnhofs. Ich sah einen Zug mit geschlossenen Viehwaggons. Menschen mit völlig ausgemergelten Gesichtern, ohne menschlichen Ausdruck. Ich fand, sie sahen wie lauemde hungrige Wölfe aus. Sie guckten aus den Luftklappen.
Eine kleine Gruppe war herausgelassen. Sie hatten ihre Hände zur Mulde geformt und bekamen jeder vier oder fünf Pellkartoffeln hinein. Einige hatten noch ein Kochgeschirr. Vielleicht von Soldaten? Sie bekamen zu trinken. An Blechnäpfe erinnere ich mich nicht.

Auf die Hände geschlagen


Außer den Soldaten kann ich mich nur an eine SS-Bewacherin erinnern, die am Zug entlangging. Sie trug das übliche braune Kostüm und einen Gummiknüppel im Stiefelschaft. Ein Häftling hatte beim Zuschieben der schweren Waggontüren die Hand dazwischen und bekam sie nicht mehr heraus. Die weibliche Bewachung schlug immer mit dem Knüppel auf die Hand ein. Ich weiß nicht mehr, wer die Tür einen Spalt öffnete. Völlig geschockt ob solcher Behandlung, nahm ich mein Rad und fuhr davon. Ich hatte so etwas noch nie gesehen.

Das Massengrab


Im Zug hörte man ein Wimmern. Man lieh sich bei der dem Bahnhof gegenüberliegenden Mühle eine Schiebkarre und eine Schaufel und schob die Toten in ein kleines Wäldchen hinter der Mühle, wo eine flache Bodenvertiefung ausgehoben worden war. Hier ruhten sie einige Jahre. Das Massengrab war von Birken und Kiefern umsäumt und mit einem Jägerzaun eingefriedet.
Die damalige englische Militärregierung rechnete unserem Bürgermeister die Verpflegung des Zuges anerkennend an.
Ich meine mich zu erinnern, das war der Grund, dass die Verscharrten nicht gleich wieder unter Mithilfe der Bevölkerung ausgegraben und neu bestattet werden mußten. Die Umbettung muß nach 1950 erfolgt sein.

Sturz vorn Heuboden


Bei einem kleinen Bauern in der Nähe des Bahnhofs hatte sich ein Häftling auf dem Heuboden versteckt. In der Nacht war er in die Vorratskammer gegangen und hatte sich reichlich mit Schinken und Backobst versorgt. Dabei war er aus der Heuluke gefallen. Der Bauer fand ihn an dem Montagmorgen auf der Diele liegend. Ein damals hier arbeitender polnischer Kriegsgefangener sprach ihn auf Polnisch an. Er antwortete nicht und starb bald. Ob durch das reichliche Essen oder den Sturz, man weiß es nicht. Er wurde an dem Vormittag auf dem Ackerwagen zum Friedhof gefahren und kam nicht mit in das Massengrab.

Angaben des Totengräbers


Mit einer Freundin versuchte ich kürzlich, mich an das zu erinnern, was damals unser Totengräber erzählte, der bei der Ausgrabung hinzugezogen wurde und bei der Umbettung geholfen hat. Er ist inzwischen verstorben. Es kamen Leute aus Göttingen. Sollen Studenten gewesen sein - und Fachleute vom Gericht aus Stade. Sie zählten die Gebeine, 64, untersuchten, ob erschossen oder nicht. Bei den meisten konnte die Erschießung nicht nachgewiesen werden, nur in vier Fällen soll es zweifelhaft gewesen sein. Diese Schädel nahm man mit zur weiteren Untersuchung. Man fand noch Erkennungsmarken und Zahnprothesen. Es soll aber an Identifizierung nichts mehr herausgekommen sein. Man legte die Gebeine in Plastiksäcke und bettete sie um auf unseren Friedhof, wo sie seitdem im Massengrab ruhen.
Auch ein ehemaliger SS-Mann war herbeigebracht worden. Er wurde im Spritzenhaus des Dorfes festgehalten und hernach zum Grab gebracht. Nach anfänglichem Leugnen soll er jedoch von auch anwesenden ehemaligen Häftlingen eindeutig belastet worden sein. Man legte ihm Handschellen an und führte ihn ab. ¤


Aus dem Tagebuch von Emile Delaunois


Montag, 9. April.

Als wir aufwachen, sind wir im Bahnhof von Handeloh, noch weiter südlich in der Lüneburger Heide, 25 km nördlich von Soltau. Wieder wird unser Schlaf von Karabinerschüssen unterbrochen. Ein Posten schießt auf Flüchtende.
Sehr früh am Morgen brechen ein paar italienische Kapos und Gefangene auf, um die 57 Toten zu begraben. Unter diesen 57 sind ungefähr zwanzig Kerle, die erschossen worden sind.
Wir verteilen in allen Waggons Wasser, danach essen wir zu Mittag. Jetzt, gegen 12 Uhr, erwarten wir die Abreise in eine andere, noch unbekannte Richtung. Heute gab es noch keine Versorgung mit Lebensmitteln, aber da der Lagerführer gestern nachmittag wieder zu uns gestoßen ist, ist es möglich, dass er uns welche beschaffen kann.
Es scheint, dass wir in Richtung Soltau und Bergen aufbrechen.
Heute haben sie 65 Tote begraben, und heute nacht sind drei per Genickschuß getötet worden, darunter ein Tscheche, der wahnsinnig geworden war und zwei Kerle im Waggon getötet hatte.
Unter den Toten von heute ist 48516, Alfred Petit, aus Chaussee d'Auderghem, 1169, der mit mir in Breendonk war und dem es doch in der letzten Zeit nicht schlecht gegangen war.

Steckrüben, Kartoffeln, Kaffee


Gegen Mittag kommen ein paar Bauern und Bäuerinnen mit großen Schubkarren voll gekochter Kartoffeln und Steckrüben. Wir verteilen das alles und auch Kaffee.
Die Zivilisten, das muß ich sagen, sind sehr hilfsbereit und scheinen überwältigt zu sein, als die Waggontüren sich öffnen und die ausgehungerten Kerle herbeistürzen, um als erste etwas zu bekommen. Jeder bekommt eine Handvoll Kartoffeln, und in jedem Waggon werden zehn dicke Steckrüben gelassen. Danach geht jemand mit dem Kaffee vorbei. Als die Waggontüren wieder geschlossen werden, eilen die Kameraden an die Gitterfensterchen, durch die ihnen noch weitere Steckrüben und Futterrüben zugesteckt werden. Und sie jammern noch immer unaufhörlich und flehen, man möge ihnen noch mehr Kartoffeln und Kaffee geben, ein höllisches Durcheinander und ein Jammerkonzert.

Auf die Hände geschlagen


Die Zivilisten können die Augen nicht von diesem Schauspiel abwenden. Aus einem Waggon beklagen sich welche, sie hätten keinen Kaffee bekommen. Wir öffnen die Tür, alle stürzen heraus, bekommen Kaffee in ein Kochgeschirr gegossen, aber statt dass sie weitere Kochgeschirre hinhalten, prügeln sie sich, um zu trinken. Sie werden zurückgedrängt, und da die Vorräte erschöpft sind, soll die Waggontür wieder verschlossen werden. Sie halten sie offen, werden auf die Hände geschlagen. Einer von ihnen will nicht loslassen, und trotz der Hiebe von Stock und Karabiner hält er die Tür unter irrem Brüllen weiter offen. Endlich fordern die, die sich ein wenig Klarsicht bewahrt haben, man solle sich mit dem restlichen Kaffee von den Waggons entfernen. Wir steigen wieder in unseren Waggon, bestürzt und entnervt, mit Herzklopfen angesichts solchen Elends. Für uns geht es einigermaßen, wir bekommen heute wieder ein Kochgeschirr Kartoffeln, 1/4 Brot und 1/5 Dose Schweinefleisch. ¤


Amtlicher Bericht über das Begräbnis in Handeloh am 9. April 1945


Am 8. April 1945 traf ein Zug mit 3500 Personen, Insassen eines Konzentrationslagers, am Bahnhof von Handeloh ein. Am nächsten Morgen um 4 Uhr kam der Kommandant der Wachmannschaft, ein Obersturmführer der SS, zum Bürgermeister, Herrn Peters, und forderte Leute an, die im Wald beim Bahnhof Tote begraben sollten. Herr Peters sagte, dass die Toten auf dem Dorffriedhof beerdigt werden müßten, und lehnte es ab, die Toten von seinen Männern anderswo begraben zu lassen. Der Kommandant wandte sich daraufhin an die nächste Polizeiwache, wo er vom Polizisten Wenzien aus Welle dieselbe Antwort erhielt.
Blick auf das ehemalige Massengrab in Handeloh
Blick auf das ehemalige Massengrab in Handeloh

Inzwischen war Herr P. in Amtsgeschäften im Dorf Wörme unterwegs, von wo ihn seine Frau wegen des Begräbnisses abholte. Herr P. telefonierte mit dem Landratsamt in Winsen und bekam den ausdrücklichen Befehl, ein Begräbnis nur auf dem Friedhof zuzulassen und eine Liste mit den Namen und Nummern zu verlangen. Deshalb sprach Herr P. am Bahnhof beim Obersturmführer vor. Er bekam den Bescheid, dass die Toten bereits begraben seien und dass der Obersturmführer keine Namen nennen könne, weil ihm das untersagt sei.
Am Bahnhof sah Herr P. das Elend der Menschen, die schon zwei Tage keine warme Mahlzeit mehr zu sich genommen hatten. Er ließ die Dorfbewohner sofort Kartoffeln kochen, und innerhalb von zweieinhalb Stunden wurden fast 40 Zentner Kartoffeln gekocht. 80 Zentner rohe Steckrüben, viele Brotlaibe und Kannen mit Milch und Kaffee wurden gestellt, und jeder, der am Bahnhof entlangging, bekam seine Essensration. Am Nachmittag verließ der Zug Handeloh.
Am Morgen des 10. April fand man einen Mann, der zu diesem Transport gehörte, bewußtlos in der Dreschdiele eines Bauernhauses, nachdem er vom Heuboden herabgefallen war. Der Besitzer holte den Polizisten, der feststellte, dass der Mann tot war. Dieser wurde auf dem Dorffriedhof im letzten Grab beigesetzt.
Ein zweiter Mann namens Peter Lazonenko, geboren am 17. Juni 1913 in Lazonenko in der Nähe des Ural, wurde am Abend des 11. April 1945 von einem Privatmann gefunden und zum Bürgermeister gebracht, der ihm warmes Essen gab und ihn in der Schule einschloß. Auf das Flehen des Mannes hin lieferte Herr P. ihn nicht an die Polizei aus, obwohl er einen Korb mit 6 Eiern und einen Laib Brot bei sich hatte, sondern Herr P. fragte, wer bereit sei,den Mann als Landarbeiter einzustellen. Der Bauer Rammann nahm den Mann und behielt ihn in seinem Haus, bis er Handeloh mit dem letzten Transport am 4. Juni 1945 verließ. Der Mann ist ehrlich, gewissenhaft und sehr dankbar gewesen. ¤


Gezeichnet: M. Hohn
Handeloh, 12. 6. 45
Für die Richtigkeit:
Bürgermeister Peters


Die Ermittlungen der britischen Armee


Britischer Report
Britischer Report

Bericht über behauptete Greueltaten am 9. April 1945 in Handeloh.
Auf einen Bericht der Einheit 5 DORSETS vom 13. Juni 45 hin begab ich mich am 14. Juni 45 nach Handeloh, um eine behauptete Greueltat zu untersuchen.
Als ich dort ankam, teilte ich dem Bahnhofsvorsteher von Handeloh mit, dass ich Berichte erhalten hätte, aus denen hervorgehe, dass am 9. April 1945 offensichtlich ganz in der Nähe 75 Leichen von deutschen SS-Truppen verscharrt worden seien. Ich fragte ihn, ob er Angaben dazu machen könne. Er gab folgenden Bericht ab:
Im Laufe des 8. April 45 passierten mehrere Züge mit KZ-Häftlingen den Bahnhof auf ihrem Weg nach Soltau, und gegen 18 Uhr hielt einer von ihnen am Bahnhof. Er war voll von Häftlingen aller Nationalitäten, ungefähr 5000 an der Zahl; man hatte jeweils etwa 50 in geschlossene Güterwaggons gepresst. Der Zug wurde von SS-Truppen bewacht und stand am 9. April bis mittags um 12 Uhr am Bahnhof und fuhr dann in Richtung Soltau ab. Die Gefangenen waren im Zustand äußerster Erschöpfung und konnten sich nicht hinsetzen. Das Ausmaß ihrer Leiden erkannte man auch daran, dass keinerlei sanitäre Einrichtungen vorhanden waren. Bei der Abfahrt des Zuges war die Strecke entsetzlich verschmutzt, hauptsächlich durch menschliche Exkremente.
Grabstein auf dem Handeloher Friedhof
Grabstein auf dem Handeloher Friedhof

Der Anblick des Elends dieser Menschen machte die Bevölkerung so betroffen, dass der Bürgermeister die Einwohner aufrief, ihnen Lebensmittel und Wasser zu geben. Das ganze Dorf kochte Kartoffeln, die man in die Waggons reichte. Einige Häftlinge bekamen die Erlaubnis, unter Bewachung zu benachbarten Bauernhöfen zu gehen, wo sie mit Wasser versorgt wurden.
Soweit es der Informant beurteilen konnte, waren es hauptsächlich Russen, daneben aber auch eine beträchtliche Anzahl von Deutschen. Insbesondere sah er einen französischen Arzt und unterhielt sich mit ihm, Dieser erzählte ihm, dass man ihn in Paris verhaftet habe, weil er ein Jude sei.
Gegen 4 Uhr morgens hörte man Schüsse am Bahnhof, aber der Zeuge konnte keinen Grund dafür angeben. Er hörte später von den Wachposten, dass sie geschossen hätten, um einige Männer einzuschüchtern, die versucht hätten zu fliehen.
Um 6 Uhr morgens kamen die Wachen und teilten mit, dass sie Leute bräuchten, um ein Grab auszuheben, da sie Leichen zu begraben hätten. Sie wurden an den Bürgermeister verwiesen, der solche Hilfe aber verweigerte, es sei denn, die Leichen würden auf dem Friedhof beigesetzt. Gegen 8 Uhr morgens begannen die Wachen, auf Tragbahren Leichen zu einer Stelle beim Punkt 407183 zu bringen; das ging weiter bis 11.45 Uhr. Dann kehrten die Wachen zum Zug zurück. Der Zeuge erfuhr von den SS-Leuten, dass sie 75 Leichen in einer Grube verscharrt hätten. Mehr weiß er nicht.
Ich inspizierte dann die Stelle und fand ein kreisrundes Grab von etwa 15 Fuß (ca. 5 Meter, d.Ü.) Durchmesser, gekennzeichnet durch weiße Steine (wahrscheinlich erst nachträglich) und mit Moos und Gras bedeckt. Radspuren auf dem Pfad, der zum Grab führt, ließen die Vermutung zu, dass ein (Pferde?)Fuhrwerk benutzt worden war, um die Leichen zu transportieren, da die Entfernung vom Bahnhof (ca. 250 Yards) eine starke Belastung für das offensichtlich wenige dort eingesetzte Personal bedeutet hätte. So ein Fuhrwerk wurde auf einem Hofgelände unmittelbar gegenüber dem Bahnhofseingang gesehen.
Nachdem ich das Grab gesehen hatte, befragte ich Frau und Fräulein Wegner in der Bahnhofstraße unmittelbar gegenüber dem Bahnhofseingang, da ich erfahren hatte, dass Häftlinge dorthin gebracht worden waren, um Wasser zu holen.
Die ältere Frau wollte zuerst nicht mit der Sprache heraus, aber die junge stellte sofort in aller Offenheit fest, dass es das Schlimmste war, was sie jemals gesehen habe. Daraufhin hörten wir von ihnen die folgende Geschichte.
Der Zug hatte am 8./9. April 45 von 18 Uhr bis mittags am Bahnhof gestanden. Ungefähr 5000 Menschen waren im Zug wie die Sardinen zusammengepfercht und wimmerten und stöhnten. Sie vegetierten nur noch vor sich hin und waren im Zustand äußerster Erschöpfung. In der Tat es war so, dass die Erzählung von deren Leiden die Zeugin dazu veranlaßte, in Beschimpfungen gegen die Nazis und alle Verantwortlichen auszubrechen.
Viele Häftlinge wurden zum Haus der Zeugin eskortiert, um Wasser zu holen, und sie sagen, dass das alles Russen waren, die sich um die herausgegebenen Lebensmittel und das Wasser schlugen. Der Bürgermeister war entsetzt und gab Anweisung, dass jeder Kartoffeln kochen solle, die zu den Waggons gebracht wurden.
Während der Zug dort stand, sahen sie ungefähr 500 Frauen im vorderen Teil und alle in erbärmlichem Zustand.
Während der Nacht konnten die Zeuginnen nicht schlafen wegen der Schreie und des Stöhnens der Häftlinge im Zug, und gegen 4 Uhr früh hörten sie zahlreiche Schüsse.
Gegen 6 Uhr morgens sahen sie, wie SS-Bewacher Leichen auf Tragbahren zu dem Gehölz hinter dem Bahnhof brachten, und die junge Zeugin sah eine nackte Frau auf einer Tragbahre. Sie wissen nicht, wie sie zu Tode kamen, aber die eine hörte von Bewachern, dass sie im Zug gestorben seien. Sie schätzte, dass insgesamt etwa 100 Menschen verscharrt wurden, aber man habe einen der Bewacher sagen hören, dass sie über 200 Menschen verscharrt hätten. Die Zeuginnen waren bereit, vor Gericht auszusagen, und sie äußerten sich in heftigen Worten gegen die Verantwortlichen.
Der Zug fuhr am 9. April 45 gegen Mittag ab.
Als nächstes suchte ich die Dorfschullehrerin auf, deren Aussage beigefügt ist, die aber eher bestrebt schien, das Dorf gegen Anschuldigungen in Schutz zu nehmen als gerichtsverwertbare Tatsachen zu nennen. Sie schien von der Furcht erfüllt zu sein, dass man sie zwingen würde, die Leichen auszugraben und zu bestatten.
Aufgrund all dieses Beweismaterials bin ich zu folgenden Schlüssen hinsichtlich des Tatbestandes gelangt:

Zusammenfassung des britschen Untersuchungsberichtes
Zusammenfassung des britschen Untersuchungsberichtes

I.
Ein Zug mit 5000 politischen Häftlingen gehörte zu einem Eisenbahnkonvoi, der von Osten her in Richtung Soltau unterwegs war. Bei der Ankunft in Uelzen wurde er wegen Luftangriffen am 8. April über Lüneburg und Buchholz umgeleitet, fuhr südwärts Richtung Soltau weiter und hielt wegen Luftangriffen in diesem Gebiet am 8. April 45 um 6 Uhr abends in Handeloh an.

II.
Die 5000 Häftlinge wurden in geschlossenen Vieh- oder Güterwaggons transportiert, durchschnittlich 50 pro Wagen, ohne Essen, ohne sanitäre Einrichtungen und ohne dass sie die Möglichkeit hatten, sich hinzulegen. Wahrscheinlich waren 500 von ihnen Frauen. Es liegen Beweise vor, dass, obwohl die Mehrheit Russen waren, der Konvoi ein "zusammengewürfelter Haufen" war, in dem alle Nationalitäten vertreten waren.

III.
Am 9. April um 4 Uhr veranstalteten die Bewacher eine allgemeine Schießerei, und um 6 Uhr waren 75 Menschen tot und wurden an die genannte Stelle geschafft, um dort verscharrt zu werden. Es ist nicht genau nachweisbar, wie sie starben, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass in den meisten Fällen der Tod die Folge fünftägigen Eingeschlossenseins im Zug und völliger Erschöpfung war.

IV.
Die Bewacher waren mit Sicherheit SS-Leute und werden als jung und brutal geschildert.

V.
Das Dorf scheint eine anständige Haltung eingenommen und mehr Menschlichkeit gezeigt zu haben als die für den Transport Verantwortlichen, obwohl der Verdacht besteht, dass einer der entflohenen Russen auf einem Bauernhof ermordet wurde.

Winsen, 14. Juli 45
Unterschrift
Major
Comd 505 Mil. Gov. Det. ¤


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