Buchholz/Nordheide - Soltau: zwei Städte, die seit 1901 eine Bahnlinie verbindet, die Heidebahn. Diese eingleisige Strecke am Rande der Lüneburger Heide stellt eine Verbindung her zwischen den Bahnlinien Bremen-Hamburg und Bremen-Hannover. Fährt man mit dem Zug von Buchholz nach Soltau, kommt man an etlichen Bahnhöfen und Haltestellen vorbei mit zum Teil fast exotisch klingenden Namen:
Suerhop
Holm-Seppensen
Büsenbachtal
Handeloh
Wintermoor
Barrl
Schneverdingen
Hemsen
Gröps
Wolterdingen
Soltau
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Verbindlichkeiten der Waffen-SS für gestundetes Fahrgeld |
Eine Fahrkarte, einfache Fahrt in der 2. Wagenklasse von Buchholz nach Soltau kostet heute knapp 7 Euro. Das sind 15 Cent pro Streckenkilometer. Wie heute achtete man auch vor 60 Jahren peinlich genau darauf, daß alle Transporte abgerechnet und bezahlt wurden. Und zwar im Normalfall nach dem für die 3. Klasse gültigen Tarif: "Basistarif war der 3.-Klasse-Fahrpreis: vier Pfennig pro Streckenkilometer. Kinder unter zehn zahlten den halben Preis; Kleinkinder unter vier reisten umsonst. Gruppentarife (halber 3. Klasse-Fahrpreis) wurden gewährt, wenn wenigstens 400 Personen zu befördern waren. Der entsprechende Fahrpreis wurde dem Antragsteller der Gruppenbeförderung in Rechnung gestellt. Im Fall der jüdischen Todeszüge war dies das Reichssicherheits-Hauptamt. Für die mitreisende Bewachung mußte eine Rückfahrkarte gelöst werden." ¤
Ein durchaus lukrativer Tarif, bedenkt man die schier endlose Zahl dieser "Sonderzüge" quer durch Europa von Norden, Westen und Süden nach Osten zu den Vernichtungslagern, in denen die etwa drei Millionen "Fahrgäste" den sicheren Tod fanden. Ein gutes Geschäft sicherlich, war der Beförderungstarif doch für die 3. Wagenklasse und nicht für
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Treuekundgebung auf dem Reichsbahnhof Soltau |
Viehwaggons mit 60 Personen pro Waggon vorgesehen. Ein gutes Geschäft auch für Julius Dorpmüller, der 1937 als altgedienter Reichsbahner Verkehrsminister wurde und als solcher den braunen Machthabern diente. Ein erfolgreicher Verkehrsminister, der eben nicht nur die Kriegsmaschinerie an die Front brachte. Von der deutschen Bundesbahn wird er noch immer wegen seiner planerischen Leistungen hoch geehrt. Sie hat seine Büste in
das Nürnberger Eisenbahnmuseum und in einige bahneigene Erholungsheime gestellt. Und in Buchholz in der Nordheide, dem Ausgangspunkt unserer Reise mit der Heidebahn, wurde am 24.5.1962 eine Straße nach dem benannt, "der hier von hoher Warte und mit überlegener Fachkunde sich als Organisator größeren Stils bewährt" ¤
hat. Jenem Julius Dorpmüller, der sich im Alter von 68 Jahren (!) von Adolf Hitler zum Verkehrsminister machen ließ und der in dieser Eigenschaft auch für die Reichsbahn und damit ebenfalls für die "Todeszüge" zuständig und verantwortlich war! Mehr als zweieinhalb Jahrzehnte hat Buchholz diesen Mann geehrt: erst Mitte der achtziger Jahre wurde die Straße umbenannt.
Etliche der meist kleinen Bahnhöfe entlang der Heidebahn machen einen verwaisten Eindruck; Güterverkehr findet kaum noch statt, und die Fahrkartenschalter sind geschlossen. Einige Orte, die die Bahn durchquert, haben etwas gemeinsam, eine Gemeinsamkeit, die man allerdings erst entdeckt, wenn man sich die Mühe macht, den Zug zu verlassen und zum Friedhof zu gehen. Handeloh ist einer dieser Orte, ebenso Wintermoor und Schneverdingen, Wolterdingen und Soltau. In Handeloh findet man im Ort ein Schild mit der Aufschrift "Kriegsgräberstätte". Folgt man diesem Hinweisschild, kommt man zum Friedhof, der etwas außerhalb des Ortes in Richtung Höckel auf einer Anhöhe liegt. Auffällig die gepflegten Hecken, die die einzelnen Grabstätten umsäumen. "Kriegsgräberstätte": wer nun eine Grabstätte für gefallene Soldaten erwartet, wird eine kleine Überraschung erleben, denn links des Hauptweges, nicht weit von der Friedhofskapelle, steht ein Gedenkstein mit folgender Inschrift:
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HIER RUHEN
64 KZ-HÄFTLINGE
Wir leiden Verfolgung,
aber wir werden nicht verlassen;
wir werden unterdrückt,
aber wir kommen nicht um.
2.Kor. Kap.4, Vers 9
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Etwas außerhalb des Ortes der Friedhof Handeloh |
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64 namenlose KZ-Tote, Herkunft offensichtlich unbekannt. Wie kommen diese namenlosen Toten in dieses kleine Heidedorf? Der Haltestelle in Handeloh folgt der Bahnhof in Wintermoor, ein kleines Gebäude, das heute leersteht, ein Gleis, das anscheinend seit Jahren unbenutzt ist. Ein weiteres Gleis auf der anderen Seite, das noch befahren wird, von dem dritten Gleis ist kaum noch etwas zu sehen. Auch in Wintermoor findet man am Weg zum Friedhof das Schild "Kriegsgräberstätte". Auf dem Friedhof rechts am Rand dann ein Findling mit der Inschrift:
Hier ruhen 156 unbekannte Opfer des Dritten Reiches |
Die Inschrift verschweigt, dass es sich hierbei ebenfalls um tote KZ-Häftlinge handelt.
Woher sind diese Häftlinge gekommen?
Wintermoor folgt Barrl - hier wurden bis Anfang der 90iger-Jahre noch Panzer abgeladen, wenn Manöver stattfanden, mitten im Naturschutzgebiet.
Die nächste Station der Reise: Schneverdingen. Der Bahnhof ist noch in Betrieb. Er liegt heute in der Stadt. Vor 55 Jahren noch war der Ort an dieser Stelle zu Ende. Nicht weit vom Bahnhof entfernt befindet sich einer der Schneverdinger Friedhöfe, auch hier ein Schild "Kriegsgräberstätte", auch hier neben Gräbern mit gefallenen Soldaten ein steinernes Kreuz mit der Aufschrift:
1945
Herr, erbarme Dich
62 unbekannte KZ-Tote |
Wie sind diese 62 gestorben?
An der Strecke nach Soltau liegen dann noch Hemsen, Gröps und Wolterdingen. Hier, im letzten Ort vor Soltau, auf dem Friedhof drei große Holzkreuze und ein Gedenkstein mit der Inschrift:
Nur Gott
der Herr
kennt Ihre Namen
296 unbekannte
Menschen sind
hier beigesetzt.
Sie ereilte der
Tod in den letzten
Tagen des Krieges. |
Erst ein kleiner, etwas beiseitestehender zweiter Stein läßt erkennen, dass eine Geschichte verborgen wird:
"Polacy" steht darauf - und das Wort "hitlerowskiego" ist zu entziffern. Die angelehnte Marmortafel verrät - auf lateinisch -, dass dieses "monumentum" aufgestellt wurde "a polonis". Wer waren diese Polen? Hatten sie etwas gemeinsam mit den Namenlosen, die in den drei langen Grabreihen unter den Holzkreuzen ruhen?
Draußen, vor dem Wolterdinger Friedhof, findet sich kein Schild, auch das grün-gelbe, das auf die anderen Kriegsgräberstätten hingewiesen hatte, fehlt.
Kurz nach der Siedlung Wolterdingen unterquert die eingleisige Trasse der Heidebahn die Brücke der Straße, die Schneverdingen und Soltau verbindet, in südöstlicher Richtung. Von Norden aus durchzieht die Schneise dann den dichten Oeninger Forst, östlich der kleinen Stadt gelegen. Erst wenn die Heidebahn nach langer schnurgerader Fahrt die Straße nach Lüneburg erreicht, berührt sie Soltauer Wohngebiet. Am Südrand der Stadt geht es in einem großen Bogen durch Felder und Wiesen und kleine Waldstücke. Vor der Überquerung der Celler Straße führen die Bundesbahnstrecke aus Uelzen und der hochaufgeschüttete, weithin sichtbare Damm der Heidebahn zusammen. Die Stadt ist erreicht. Jetzt geht es in Sichtweite der Häuser vorbei an Stellwerk, an Gütergleisen - bis nach Überquerung des Flusses Böhme die Weiche der "Osthannoverschen" die Schienen aus Celle und Lüneburg hinzuschaltet. Kurz danach die Kreuzung mit der belebten Walsroder Straße, dann ist der Bahnhof erreicht.
Soltau, Eisenbahnknotenpunkt: regionale Schienen, die alte Ost-West-Achse und unsere Heidebahn sind miteinander verflochten.
In Soltau weist nichts auf den Friedhof hin. Erst direkt am Haupteingang, der inmitten der Stadt bei der Johanniskirche gelegen ist, das neue Schild "Kriegsgräberstätte". Beim Rundgang fallen einige größere Grabsteine neben und hinter der Friedhofskapelle auf. Gräber ehemaliger Zwangsarbeiter, eine Gedenkstätte für die Soltauer Toten des größten Bombenangriffs und zwei lange Reihen Soldatengräber mit Gedenkkreuz.
Dahinter liegt ein gepflegtes Rasenstück, durchkreuzt von einem Fußweg. Auf einem schlichten Quader ein in Anführungszeichen gesetzter Text:
Hier ruhen
80 Opfer
nationalsozialistischer
Gewaltherrschaft.
Sie starben für
Freiheit und Recht |
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Blumenrabatten, ein angelehnter Kranz - doch keine nähere Erläuterung. Ehemalige KZ-Häftlinge "Opfer ... für Freiheit und Recht". Die Gräberliste, bei der Stadt einzusehen, nennt die Zahl von 89 Toten. Namenlose Tote in den großen Gräbern entlang der Heidebahn.
Die Grabsteine:
Handeloh 64 Tote
Wintermoor 156 Tote
Schneverdingen 62 Tote
Wolterdingen 269 Tote
Soltau 80 Tote
631 ungenannte Tote entlang der Heidebahn.
Wie sind diese Toten hierher gekommen? Woher sind sie gekommen? Wie sind diese Menschen gestorben?
Diesen Fragen sind wir nachgegangen: Antworten haben wir dabei nur zum Teil gefunden.
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